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Fashion Retail: "Mode-Einzelhandel darf nicht zur Online-Bestellstation werden"

19.02.2014

Blog-Interview mit Jochen Hinkel, Fachtrainer und Berater für den Mode-Einzelhandel

Der Mode-Einzelhandel interessiert uns von text-ur gleich aus mehreren Gründen. Zum einen entwickeln wir für Anbieter Konzepte des Persönlichkeitsmarketings, um Kundinnen und Kunden gemäß ihrer individuellen Persönlichkeitsstruktur anzusprechen. Zum zweiten ist dies gerade zur Zeit eine unfassbar spannende Branche, die sich mitten im Wandel befindet - Change Management, aber auch Innovation, allerorten. Und zum dritten: tja - Fashion Victims... ;)
Drei gute Gründe für ein Interview mit Jochen Hinkel, der sich als Fachtrainer und Berater in der Textilwirtschaft und im Fashion Retail bestens in der Modebranche auskennt.

Dr. Christiane Gierke: Jochen, seit Jahren ruckelt es im deutschen Mode-Einzelhandel. Was ist da los?! Marktprobleme oder Führungsprobleme?

Jochen Hinkel: Meiner Meinung nach gründen diese Verwerfungen in erster Linie weniger in Führungsproblemen als in Marktproblemen. Konzepte, die früher sehr erfolgreich waren, haben ihre Stärke aufgrund des steigenden Wettbewerbsdrucks verloren. Immer mehr Marken auf immer mehr Verkaufsfläche kämpfen um die seit Jahren abnehmende Gunst des Kunden. Hier gewinnen die neusten, die innovativsten und finanzstärksten Konzepte. Nur die können sich noch behaupten, denn wir erleben auf dem Fashion-Retail-Markt gerade vier große Trends:
1. Verdrängung durch Internationalisierung. Viele neue ausländische Marken erobern den deutschen Markt - oder haben ihn bereits erobert.
2. Schrumpfende oder bestenfalls gleichbleibende Gesamtausgaben in der Bekleidungsbranche.
Der Konsum verschiebt sich zu Immobilien, Nahrungsmitteln und Ähnlichem.
3. Starke Expansion der bestehenden Marken in immer neu entstehende Verkaufsfläche. In der Konsequenz: Immer mehr der gleichen Ware auf mehr Verkaufsfläche, die nicht zu in Proportion wachsendem Umsatz führt - sondern zu sinkender Flächenproduktivität und Langeweile in den Städten und Einkaufszentren! Und das bei steigenden Mieten.
4. Umsatzverlagerung in den Onlinehandel. Die Ware verliert den Differenzierungscharakter. Ich muss in keine Metropole, in kein bestimmtes Geschäft zum Shoppen fahren - alles ist von Zuhause im Bett bestellbar.

Dr. Christiane Gierke: Bleiben wir gleich da, im Bett: von dort aus bestellt sich bequem bei Online-Anbietern wir Zalando. Doch realistisch: Bei Zalando kriegt nicht nur die Werbung das Schreien – denn obwohl der Umsatz weiter wächst, schwingen sich auch die roten Zahlen in schwindelerregende Höhen. Lediglich im deutschsprachigen Raum werde schon ein Gewinn erwirtschaftet, so Zalando über Zalando. Wo wird sich Deiner Meinung nach der Markt hinentwickeln? Wird der Modehandel in zehn Jahren nur noch in zwei Kanälen stattfinden: Online und den großen Outlet-Centers auf der grünen Wiese – oder ganz anders?

Jochen Hinkel: Es wird eine weitere Konzentration auf Metropolen geben. Diese werden immer attraktiver, es wird investiert, es entstehen neue Konzepte im Stationärhandel. Genauso wie die Tante Emma Läden fast ausgestorben sind und es jetzt nur noch Supermärkte gibt, wird sich der Modehandel auch wandeln. Hin zu Monolabelstores und überzeugenden Großflächen wie Breuninger und P&C und viele große Platzhirsche. Einen Platz in der exklusiven und modischen Nische wird es in Metropolen auch noch geben. Eins ist aber unstreitig festzuhalten: Insgesamt wird es eine Standort- und eine weitere Anbieterbereinigung geben. Der massive Verkaufsflächenzuwachs wird zu weiteren Leerständen in kleinen und mittleren Städten führen. 

Bild Mode-Einzelhandel Jochen Hinkel Fachtrainer textur agentur Blog


Den Preiskampf gegen das Internet und die Outlets kann der normale Stationärhandel in der City oder dem Einkaufszentrum nicht gewinnen. Viele Händler arbeiten schon jetzt daran, ihre Filialen, Mitarbeiter und das gesamte Einkaufserlebnis auf das nächste Level zu führen. Ich bin sicher: Mehr Qualität statt Rabattschlacht, das wird der Weg des Stationärhandels sein.

Darüber hinaus geht es darum, durch das Einkaufserlebnis im Geschäft eine Markentreue zum Einzelhändler aufzubauen, damit der Kunde online nicht bei Zalando kauft, sondern im Onlineshop von Breuniger oder P&C, wo er auch ins Geschäft geht. Der Kunde kauft ja heute schon Multi- oder Omnichannel. Es ist ein und derselbe Mensch, der in allen Kanälen kauft. Es gibt keine Kunden, die nur einen Kanal benutzen. Es geht darum, den Kunden an sich zu binden, egal wo er kauft.

Ich halte die oft gehörte Aussage, dass sich ein Onlineshop für den nicht filialisierten kleineren Einzelhandel nicht lohnt, deswegen für kritisch. Wer abends auf dem Sofa kaufen möchte oder sich informiert, schaut doch erst mal im Netz …dort wo es ihm sympathisch ist. Und das ist normalerweise das Geschäft, das ich kenne. Wenn Sie da keinen Onlineshop haben, gucken Sie als Stationärhändler vor Ort in die Röhre.

Dr. Christiane Gierke: Auch das Luxussegment verkauft mittlerweile höchst erfolgreich über Internet: Bei Fahionette oder Rebelle gehen Handtaschen im fünfstelligen Preissegment über den virtuellen Ladentisch, bei Stylebob oder MyTheresa sind fast alle Luxuslabels an Bord. Werden diese Marken aber nicht mit den stylischen Showrooms und exquisiten Flagship-Stores gleichzeitig auch ihren Nimbus verlieren? Oder meinst Du, der Trend wird sich auch wieder umkehren?

Jochen Hinkel: Ich glaube nicht, das sich der Trend umkehren wird, im Gegenteil er wird weiter gehen. Ich finde das aber nicht schlimm. Der Trend führt zu Anpassungsdruck und mehr Qualität im Handel.
Was das Premium-Segment angeht, so laufen diese Marken ja nur so gut, weil das Image stationär aufgebaut wurde - und das wird auch so bleiben. Gerade von den Luxusmarken können wir lernen, was Expansion und Preispolitik mit Augenmaß bedeutet. Das Luxussegment ist deswegen dasjenige, was unter den beschriebenen Trends am wenigsten leidet. Das Konzept der Luxusmarken hat auch ein mittelpreisiger Vertikaler für sich erfolgreich übernommen: Soweit ich weiß, funktioniert Massimo Dutti mit dieser Philosophie trotz kleiner Preise gut.

Dr. Christiane Gierke: Was kann der Mode-Einzelhandel, was können Filialisten tun, damit die Innenstädte nicht komplett ausbluten? Wie können sie Kunden anziehen, binden – und dann auch an sie verkaufen? Denn das „Showrooming“ im Sinne: Ich probier das Kleidungsstück hier an, und dann bestell ich es günstiger über Internet greift ja immer weiter um sich.

Jochen Hinkel: Dem Showrooming kann der Handel nur eins entgegensetzten: Durch die Emotionalisierung des Kundenkontaktes und die persönliche Bindung zum Kunden, durch Service und Kaufnachsorge entsteht Kaufbereitschaft des Kunden – zum angemessenen Preis, auch wenn das nicht der niedrigste ist. Sich durch den Kauf und den damit verbundenen Einkaufsbummel, das Erlebnis, etwas Gutes zu tun, das zählt. Ich vergleiche das mit dem Spa-Feeling: Das gibt es auch nicht im Internet. Der Einkauf muss dem Kunden so gut tun und so viel Freude auslösen wie ein erholsamer Spa-Besuch.

Dr. Christiane Gierke: Bonusprogramme mit Kundenkarten bietet fast jeder Retailer an, um die Kunden zu binden und die Treue in die eigene Kette zu stärken. Doch zeigt sich, dass diese unter den Käufern kaum bekannt, und noch weniger beliebt sind. Nur 7% der Kunden nutzen die Karten von Esprit, Adler oder P&C – und das sind schon die Spitzenreiter! Was sind Deiner Meinung nach gute Ideen, um die die Kundentreue im Fashion Retail zu erhöhen?

Jochen Hinkel: Kundenkarten machen aus Unternehmenssicht nur Sinn, wenn Sie zur Analyse des Kundenverhaltens dienen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse mit Online Marketing verknüpft werden. Amazon und iTunes machen es vor: Empfehlungen und Tipps persönlich für den Kunden aufgrund gekaufter Artikel.

Ansonsten kenne ich aus Kundensicht nur eine Karte, die genutzt wird, weil Sie einen Mehrwert bringt und die Punkte überall leicht zu sammeln sind: Das ist das Meilensammeln bei Airlines mit Kreditkartenfunktion. Jeder Einkauf bringt mir Prämienmeilen. So kann ich mit Drogerieeinkäufen Meilen nach Mallorca sammeln. Kundentreue aber wird durch das „Spa-Erlebnis“ erreicht.

Dr. Christiane Gierke: Mittlerweile finden sich bereits erste Curated-Shopping Services für Kids im Internet. Wie siehst Du die Zukunft – wachsen überhaupt Kunden für den Mode-Einzelhandel nach?

Jochen Hinkel: Ich denke: Ja. Gerade die junge Generation ist deutlich kaufwütiger und modebewusster und unabhängiger als zu meiner Zeit. Und das wird sich verstärken, da durch Fernsehen, YouTube und Blogs heute jeder über zur Schaustellung der eigenen Person zum Star werden kann. Hierbei geht es weniger um Können oder Stil, als um das Auffallen und da hilft ja die Mode sehr.
Natürlich spielen auch die extrem niedrigen Preise der vertikalen Filialisten eine wichtige Rolle. Fast Fashion ist genauso Zeitgeist wie Fast Food. Und diese Fast Fashion-Produkte wie Primark oder andere sind sehr stark im Stationärhandel verankert.

Dr. Christiane Gierke: Jochen, in Deinem Buch „Mehr Umsatz pro Quadratmeter! In 5 Schritten zum Erfolg im Fashion Retail“ hast Du Dich schon mit dem Fakt auseinandergesetzt, dass im deutschen Model-Einzelhandel bei sinkenden Umsätzen immer größere Flächen belegt werden. Gibst Du uns Deine 5 wichtigsten Tipps, um mehr Umsatz pro Quadratmeter zu erzielen?

Jochen Hinkel: Ja, das mache ich gerne. Meine 5 Tipps:

  1. Eine saubere Differenzierungsstrategie, raus aus dem Einerlei.
     
  2. Expansion mit Augenmaß, also entsprechend meinem Marktpotenzial, welches sich aus eigenem Benchmark ableiten lässt.
     
  3. Weniger Preismarketing, dafür mehr Preis/Leistung also Qualität und „Spa-Feeling“. Das erreiche ich nur durch Investition in die Fläche und die Mitarbeiter.
     
  4. Wichtig ist sich auf seine Stärken zu besinnen. Es ist nicht die Stärke des Stationärhandels, dem Kunden ein iPad in die Hand zu drücken, damit der Kunde im Laden online einkauft. Interessant ist hier nur, fehlende Ware zu bestellen als direkter Service. Der Stationärhändler soll nicht zum flimmernden Retinadisplay werden, sondern mit Menschen und Echtem und Anfassbaren den Kunden berühren!
     
  5. Nachhaltiges organisches Wachstum betreiben und darauf zu setzen, im stärker werdenden Wettbewerb sich durch Qualität, Kreativität und Innovation zu behaupten, anstatt einseitig nur an der Kostenschraube zu drehen. Letzteres führt mittel- und langfristig zu Qualitätsverlusten und damit immer zur Schwächung der Marktposition. Es geht also um mehr Umsatz pro Quadratmeter und nicht um weniger Kosten pro Kunde oder Artikel.

Dr. Christiane Gierke: Du bist praktisch im Mode-Einzelhandel groß geworden – heute hilfst Du als Trainer und Berater anderen Modehäusern und Filialisten dabei, auch groß – und größer – zu werden. Was ist Deine Lebensvision? Was ist Dir dabei besonders wichtig?

Jochen Hinkel: Weil ich im Mode-Einzelhandel groß geworden bin, liegt mir diese Branche auch als Trainer und Berater sehr am Herzen. Daher ist eins meiner großen Ziele für 2014/2015, für den nächsten großen Unternehmenskunden im Fashion Retail als Berater ein solches „Spa-Feeling-Konzept“ für Kunden umzusetzen und erfolgreich zu machen.
Und dann darf ich ja auch schon verraten, dass das nächste Fachbuch für die Textilwirtschaft und den Fashion Retail schon in meinem Kopf reift.
 

Bild Jochen Hinkel Fashion Retail blog textur agentur

Jochen Hinkel
www.jochenhinkel.com

Jochen Hinkel ist Branchenfachtrainer in der Textilwirtschaft und Berater im Fashion Retail. Sein Alleinstellungsmerkmal ist seine Praxiserfahrung: Angefangen vom elterlichen Geschäft in Neuwied über Einkauf und Vertrieb bei Peel & Cloppenburg West, Marc O´Polo bis Ulla Popken - Jochen Hinkel hat sein Leben mit der Mode verbracht. Er wurde quasi in das gehobene Damen-Oberbekleidungs-Fachgeschäft seiner Eltern hineingeboren und mit dem Modehandel aufgewachsen,  und - nach BWL-Studium und Arbeit in der Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung - als Trainer und Berater in die Modeeinzelhandels-Branche zurückgekehrt. Mit seinem Beratungs- und Trainingsansatz hat er ein Ziel: die Leistung der Verkaufsfläche zu steigern, also mehr Umsatz pro Quadratmeter für die stationären Händler zu erwirtschaften. 

 

Hinkel, Jochen: Mehr Umsatz pro Quadratmeter! In 5 Schritten zum Erfolg im Fashion Retail bei Amazon

Deutscher Fachbuch Verlag, 2013

ISBN-10: 3866412770
ISBN-13: 978-3866412774

68,- EUR

 

Lesetipp: Lesen Sie dazu im text-ur-Fachblog auch den Blog-Beitrag zur Buch-Neuerscheinung von "Mehr Umsatz pro Quadratmeter!" von Jochen Hinkel

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