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Interview mit Richard Gappmayer zur Buch-Neuerscheinung "Der Kilimandscharo-Effekt"

04.11.2015

Dr. Christiane Gierke: Jedes Jahr kommen Dutzende von neuen Führungsbüchern auf den Markt – von der autoritären zur kollegialen Führung, von Führungstipps für die Generation Y bis zum demokratischen Unternehmen, von ©lean leadership bis zur coachenden Führungskraft ist alles dabei. Was zeichnet Ihr Buch, was zeichnet den in Ihrem Buch vorgestellten Führungsansatz aus?

Richard Gappmayer: Wie Sie so richtig sagen, es gibt zahlreiche Führungsbücher zu allen möglichen Sparten und Interpretationen von Führung. Was ich in meiner Arbeit in den Unternehmen und mit zahlreichen Führungskräften aber immer wieder feststellen musste: Jeder scheint alle Bücher gelesen zu haben, aber nur sehr wenige Menschen wenden dieses Wissen führungstechnisch auch an. Es reicht ja nicht zu wissen, wir müssen auch tun! Mein Bestreben war es, mit meinem Buch durchaus bekannte Führungsansätze und Lehren pragmatisch und einfach aufzubereiten, verständlich zu vermitteln und die Menschen in den Unternehmen damit ins „Tun“ zu bringen. Nach den Reaktionen und dem Feedback meiner Leser zu urteilen, ist mir dies auch gelungen. Was meinen Führungsansatz eventuell auch von anderen unterscheidet ist, dass ich von modernen Führungskräften erwarte, Werte wie Dankbarkeit und Demut anzuerkennen und aktiv zu leben. Und ein spezieller Aspekt meines Buches ist sicher auch mein persönlicher Aufhänger, die Besteigung, ja ich möchte fast sagen, die Bezwingung des Kilimandscharo, die sozusagen als roter Faden und Synonym für die diversen (Führungs)Herausforderungen durch die Lektüre führt.

Dr. Christiane Gierke: Ich habe selbst – im Rahmen einer Fortbildung - im Herbst 2012 auf dem Uhuru-Peak gestanden. Wie war Ihr Erlebnis, was haben Sie dort gelernt – und was haben Sie davon mit ins (Berufs-)Leben genommen?

Richard Gappmayer: Der Moment der Gipfelbezwingung war und ist für mich einer der unglaublichsten und herausragendsten Momente meines Lebens. Sie durften selber oben stehen, Sie kennen also dieses einzigartige Gefühl. Bei mir kommt aber noch hinzu, dass ich an akuter Agoraphobie leide und während der gesamten Vorbereitungszeit wie auch noch während des Aufstiegs nicht wusste, ob ich diese immense Höhe oder den Ausblick vom Gipfel überhaupt ertragen würde. Ich schaffte es mit hoher mentaler Disziplin bis zum Uhuru-Peak und „vergaß“ in der Emotion des Augenblicks dann vollkommen, dass mich diese Weite an sich ja ängstigen oder verstören müsste. Ich verspürte einfach nur ein berauschendes Glücksgefühl und pure Freude darüber, meine Ängste überwunden zu haben. In diesem Moment war mir klar: Wenn ich das geschafft habe, kann ich alles schaffen! Ich hatte mich in meiner hochrangigen Führungsposition in einem internationalen Unternehmen schon länger nicht mehr wohl gefühlt, mich nach einem neuen (beruflichen) Sinn gesehnt. Noch auf dem Gipfel beschloss ich, mein Leben radikal zu ändern. Ich verließ mein Unternehmen ein Jahr später und machte mich als Führungskräfte-Coach und Trainer selbständig.

Dr. Christiane Gierke: Was also ist der Kilimandscharo-Effekt genau? Und wie können die Leser/innen davon profitieren?

Richard Gappmayer: Der Kilimandscharo-Effekt ist immer das, was wir mit ins Tal nehmen! Es war natürlich auch für mich relativ leicht, im Rausch der Gipfelbesteigung vollmundig Resolutionen zu treffen, von wegen intensiver Lebensveränderung. Richtig spannend wurde es ja erst nach meiner Rückkehr in das gewohnte und vertraute Leben. Erst als ich zurück in Oberösterreich den „Ruf“ nach Veränderung weiterhin lautstark vernahm und vor allem dann ins Tun kam, in die Umsetzung ging, kickte der Kilimandscharo-Effekt voll ein. Metaphorisch betrachtet können wir also feststellen, ein Kilimandscharo-Effekt tritt immer dann ein, wenn Menschen sich etwas vornehmen und diese Aufgabe auch aktiv angehen und meistern. Das gilt für große wie auch für kleinere Vorhaben – wichtig ist bei beiden der aktive Schritt in die Umsetzung. Dieser Vergleich kommt bei den Führungskräften im Coaching immer sehr gut und eingängig an, weil ein jeder hat ja auf die eine oder andere Weise eine mächtige Herausforderung, sprich einen wahren Kilimandscharo vor sich, den es zu bewältigen gilt.

Dr. Christiane Gierke: Müssen denn alle Führungskräfte „aufsteigen“, bevor sie aufsteigen oder umsteigen? Will heißen: Braucht es disruptive Erlebnisse, oder können Karrieren heute doch noch in alter Schornstein-Manier geplant und verfolgt werden?

Richard Gappmayer: Ich denke, da ist jeder Lebens- und Berufsweg individuell zu betrachten. Manche Menschen brauchen starke, aufrüttelnde oder sogar schockierende Erlebnisse, um aufzuwachen, sich neu zu besinnen und zu sich selbst zu finden. Die meisten wahren Veränderungen werden ja aus dem Schmerz oder der Trauer über uns „zufallende“ Erlebnisse heraus geboren. Erst diese einschneidenden Situationen bringen dann oft bisher ungeahnte Kraftreserven ans Tageslicht und führen zu völlig neuen Verhaltensmustern und einer neuen Reife. Die dann entstehende Energie ist eine ganz besondere und kann natürlich viel bewirken, vor allem, wenn die Veränderung eine tiefe und echte ist. Andere Menschen wieder kommen mit einem gewissen Reifegrad bereits auf diesem Planeten an, brauchen keine Schicksalsschläge, um sich noch einmal zu entwickeln und können ihre Karrieren dann unter Umständen genau planen und Schritt für Schritt absolvieren. Es kommt meines Erachtens hier immer auf das persönliche Lebenskonzept und den persönlichen Lebensplan an. Aber natürlich auch auf die Art des Unternehmens, in dem eine Führungskraft tätig ist. In manchen Unternehmen haben Quereinsteiger von außen kaum Chancen, ganz nach oben zu kommen, weil die Top-Führungskräfte schön diszipliniert die interne Karriereleiter hochklettern müssen. In anderen Organisationen sind bunte Vögel mit vielfältigen beruflichen Stationen, die vielleicht auch einmal „unlogisch“ wirken, wegen ihrer zahlreichen andersartigen Erfahrungen sehr willkommen. Ich hoffe, dass sich der zweite Ansatz mehr und mehr durchsetzen wird. Die meisten Führungsetagen brauchen frischen Wind!

Dr. Christiane Gierke: Von Führungskräften wird heute immer mehr verlangt – sie sollen nicht nur perfekte Manager, sondern auch Coach der Mitarbeiter sein. Wie viel Psychologe gehört in eine Führungskraft?, um es mit Ihren Worten zu sagen?

Richard GappmayerRichard Gappmayer: Es ist definitiv eine Tatsache, dass Führungskräfte heute auch der Coach für ihre Teams zu sein haben. Mir gefällt jedoch das Wort Psychologie in diesem Zusammenhang nicht so ganz. Ich ersetze es gerne durch Empathie, die natürlich auch psychologische Elemente mit sich bringen sollte. Wichtig ist es dabei, den Grat zwischen der notwendigen „Strenge“ und dem empathischen Verständnis und einem gewissen Freiraum gut in Balance zu bringen und zu halten. Um diese zu erreichen, empfiehlt sich das Führungsprinzip à la Hirte. Die neuen Hirten der Führung setzen sich bewusst weniger an die Spitze, sondern führen von hinten, vom Ende der „Herde“. Sie senden ihre besten Mitarbeiter nach vorne, an die Front, um dort aktiv zu sein und voranzugehen. Hirten sind weniger sichtbar, sehen aber alles und können im Falle von Krisen sofort und souverän die Führung an der Spitze einnehmen. Dieses Führungsmodell bringt hohe Wendigkeit von Teams mit sich, da es die Eigenverantwortung jedes einzelnen fordert und anhebt. Der Hirte, als guter Coach, kennt die Fähigkeiten jedes einzelnen Teammitglieds und kann seine Truppe daher immer dort einsetzen, wo sie am effektivsten und effizientesten ist.

Dr. Christiane Gierke: Stressbelastung und Burn-out-Gefahr sind in vielen Unternehmen und der Presse immer noch Top-Themen. Auf individueller Ebene gibt es durchaus Ideen und Modelle der Entlastung und Resilienzförderung. Sie haben sich in einem Kapitel Ihres Buches der Frage gewidmet: Wie können sich Unternehmen aus der Beschleunigungsfalle befreien? Was ist Ihre Antwort: Wie können sie dies erreichen?

Richard Gappmayer: Eines ist klar: Eine rasante Geschwindigkeit über einen längeren Zeitraum demotiviert die Mitarbeiter. Man rennt und rennt und rennt – und kommt doch nie an. Schon wartet die nächste Aufgabe, die nächste Herausforderung – der Druck steigt. Meist bekämpfen Unternehmen die Symptome, aber nicht die Ursachen. Das Ergebnis: Viele Organisationen befinden sich im tiefen Würgegriff dieser Beschleunigungsfalle und fallen in ihrer organisatorischen Gesamtheit akuter Erschöpfung anheim. Was können Unternehmen dagegen tun?

  • Aussicht auf Verschnaufpausen geben! Mitarbeiter können durchaus eine Zeit lang eine gewisse Überlastung wegstecken, aber nur, wenn sie auch Licht am Ende des Tunnels sehen. Merken sie jedoch, dass keine Erholungspausen in Sicht sind, in denen sie neue Kraft schöpfen können, drosseln sie ihren Einsatz und können dem Unternehmen dadurch Schaden zufügen. Daher gilt es für Führungskräfte, diesen Volldampf-Modus rechtzeitig zu beenden, um kein Gefühl von „Ohnmacht im Hamsterrad“ aufkommen zu lassen. Denn erst die Pausen ermöglichen Kreativität und schenken Zeit, auch etwas Neues auszuprobieren. Gerade in den Pausen bereiten sich Mitarbeiter mental und emotional auf die nächste Hochleistungsphase vor und steigen somit die Produktivität des Unternehmens.
  • Multibelastungen senken und Prioritäten setzen! Das kenne ich aus meiner eigenen Zeit als Angestellter sehr gut. Nie werde ich eine Aussage meines damaligen Chefs vergessen: „Treten kann man nur gute Leute.“ Viele Leader vergessen dabei, dass auch die Besten ins Straucheln geraten, wenn ihnen zu viel aufgeladen wird und sie immer neue Aufgaben bekommen, weil „sie ja so gut sind und das Ding schon schaukeln werden“. Ich habe damals gelernt, auch einmal „Nein“ zu sagen, und seltsamerweise ging die Welt nicht unter. Die Lösung für Unternehmen: Prioritäten setzen und die weniger wichtigen Projekte radikal streichen. Das funktioniert in der Praxis durchaus, wenn ein glasklarer Prioritäten-Filter angewendet wird. Ganz wichtig dabei: Dies den Mitarbeitern eindeutig zu kommunizieren und die Dauerbelastung offiziell als beendet zu erklären.
  • Die richtige Drehzahl finden! Allzeit bereit, stets gut drauf sein und immer mehr aus der gleichen Zeit herausholen, das sind die Herausforderungen im Arbeitsalltag. Geschwindigkeit als höchstes Gut. Es gilt also, die qualitativen Aspekte von Zeit wieder in de Mittelpunkt zu stellen. Die richtige Drehzahl zu finden, für Unternehmen wie für Mitarbeiter. Unternehmen müssen – wenn sie langfristig nicht verbrennen wollen - die Zeitbedürfnisse ihrer Mitarbeiter achten. Den Abendmenschen nicht zu einem 7-Uhr-Frühstücks-Meeting laden, dem Mittagsmüden nicht seine Pause streichen und dem Ruhigen nicht die totale Hektik aufzwingen. Es bringt nichts, die vermeintlich gewonnene Zeit wird durch Fehler oder Langsamkeit wieder eingebüßt. Führungskräfte sollten Zeitempathie für ihre Mitarbeiter wie auch für sich selber entwickeln!
  • Feiern Sie Ihre erfolgreichen Projektabschlüsse! Führungskräfte liegen falsch, wenn sie meinen, dass der gelungene Abschluss an sich schon genug Belohnung für die Mitarbeiter ist. Große Erfolge und außergewöhnliche Anstrengungen verdienen immer hinreichende Anerkennung und Wertschätzung! Führungskräfte, die hier nicht innehalten und die Freude am Erfolg als Gemeinschaft zelebrieren, rauschen mit ihren Teams direkt in den nächsten Tunnel. 

Dr. Christiane Gierke: Was muss das große Ziel einer guten Führungskraft sein – und welche Kompetenzen und vor allem Werte braucht sie dafür?

Richard Gappmayer: Das ganz große Ziel einer wirklich exzellenten Führungskraft muss es sein, sich selber führen zu können! Eine hohe Selbstführungskompetenz zu entwickeln ist die beste Grundlage für alle weiteren Führungsaufgaben. Nur wer sich selber achtsam, aber auch „streng“ in die Pflicht nimmt, seine Aufgaben geistig „bejaht“ und diesen immer bestmöglich und zeitlich genau nachkommt, hat meines Erachtens das Recht, genau diese Disziplin und Hingabe an die Arbeit auch von seinen Mitarbeitern zu verlangen. Im Grunde geht es um Selbstverantwortung und Selbstverpflichtung, die Führungskräfte ihren Teams glaubwürdig und ohne Ausnahme vorleben sollten – das ist für mich das Führungsziel Nummer eins!

 


 

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